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Homeoffice & Veränderung in der Arbeitswelt: Einblicke aus der Praxis

Corona verändert die Welt: Hände reichen oder eine Umarmung zur Begrüßung gehören der Vergangenheit an; Gastronomen bangen um ihr Unternehmen; Reisen gehört nicht mehr zur Tagesordnung. Aber auch die Arbeitswelt wandelt sich dramatisch. Unternehmen, die früher nicht an Homeoffice zu denken wagten, müssen sich plötzlich dafür öffnen.

Es freut uns, dass wir eine erfahrene HR-Managerin dafür gewinnen konnten, die Veränderung der Arbeitswelt mit uns zu diskutieren. Das Interview mit Janine Kirchhof führte Max.

Tipp: Janine ist auch eine tolle Künstlerin und hält Inhalte via Sketchnotes fest. Hier ein Beispiel aus ihrem Beitrag „Lernreise zum Visual Facilitator

Copyright Janine Kirchhof

Vorstellung Janine Kirchhof

Max: Hallo Janine, bitte stelle dich unseren Lesern kurz vor :).

HR-Profi: Janine Kirchhof

Hallo, Ich bin Janine Kirchhof, Personalentwicklerin und New Work Pionierin aus Stuttgart. In meiner bisher 10-jährigen Berufspraxis im Fachgebiet des Personalmanagements kann ich auf vielfältige Erfahrungen in Start-Ups und verschiedenen Großunternehmen, als Generalisten sowie als Spezialistin zurückblicken.

  • Vor fünf Jahren haben ich damit begonnen, mich auf das Thema Neues Arbeiten und Neues Lernen im Kontext einer sich wandelnden Welt zu spezialisieren.
  • Seit Anfang 2019 habe ich mich mit einem eigenen Blog und einer Nebentätigkeit als New Work Facilitator selbstständig gemacht.
  • Ein wichtiges Anliegen meines Schaffens ist es, die Welt zu einem besseren Arbeitsplatz zu machen. Dafür designe und liefere ich ultimative ‚New Work‘ Lernerfahrungen, bei denen der Mensch im Mittelpunkt steht. Eine echte Verbindung zu sich selbst und zu anderen herzustellen ist ein wichtiges Anliegen meines Schaffens und sehe ich als Voraussetzung für die gemeinsame Gestaltung unserer Zukunft.
  • Ich beschäftige mich fokussiert mit neuen Arbeits- und Lernmethoden und Kompetenzprofilen für erfolgreiches Agieren in einer volatilen, unsicheren, komplexen und mehrdeutigen (Arbeits)welt.
  • Mehr Infos zu mir findest du auf meinem Blog.

Der Homeoffice Standort Deutschland 

Max: Ist Deutschland schon gut dafür gerüstet gewesen?

Teils/teils würde ich sagen. Ich sehe in vielen Unternehmen ist die technische Ausrüstung mit Hardware wie Laptop und Mobiltelefon als Basis für Home Office gegeben, in anderen Unternehmen wiederum gar nicht. Das ist sehr unterschiedlich auch innerhalb von Unternehmen. 

Max: Sind wir hier anderen Ländern voraus oder hinterher?

Das kommt darauf an, mit welchen Ländern wir uns vergleichen. Ich nehme uns in Deutschland generell als fortschrittlich war, wobei ich bisher nicht viel im Ausland gearbeitet habe, so dass ich global gesehen wenig Vergleichsmöglichkeiten habe. An dem Ausbau des Internets können wir sicher noch arbeiten, außerdem sehe ich einen großen Bedarf im schulischen Bereich.

Homeoffice der Schlüssel zum Glück?

Max: Jetzt ist Homeoffice endlich da und trotzdem jammern viele, warum?

Ich denke das hat mit der einhergehenden Veränderung zu tun. Wir Menschen mögen einfach keine Veränderungen.

Veränderungen sind immer damit verbunden, seine Komfortzone zu verlassen. Verlässt man seine Komfortzone zu stark, kann es zum Verlust von Identität kommen. Das kann mit stark negativen Gefühlen wie Angst, Frust und Verzweiflung einhergehen. Das schmerzt natürlich. Die meisten von uns sind von Natur aus so programmiert, dass sie Schmerz im Sinne des Überlebens vermeiden.

Deshalb sind wir gerne Gewohnheitstiere, wollen in der Komfortzone bleiben und jammern eben, wenn wir auf einmal jeden Tag im Home Office arbeiten sollen.

Homeoffice in Deutschland

Max: Braucht man für Homeoffice noch einen Standard oder eine Art Rechtsgrundlage?

Einen Mindeststandard und eine rechtliche Grundlage zur Regelung von Home Office beziehungsweise von mobilem Arbeiten würde ich als Leitplanken für Unternehmen sehr hilfreich finden. Es gilt rechtliche Regelungen zu finden, die Home Office fördern, vor Entgrenzung der Arbeit schützen, den Umgang mit privat genutzter Firmentechnik darstellen und Arbeitnehmer umfassend bei Unfällen im Home Office absichern. Vielleicht können diese dann auch einer noch immer stark angestrebten Präsenzkultur in Unternehmen entgegen wirken.

Max: Und welche Standards wünschst du dir für das Home Office und welche Herausforderungen siehst du dabei?

Ich denke es wäre schön, auf einen einheitlichen Mindeststandard bezüglich Home Office in Deutschland zu kommen, wie zum Beispiel, dass Jeder ein Arbeitshandy hat und einen Laptop, dass wir uns auf ein stabiles und gut ausgebautes Internet verlassen können und dass  jeder Arbeitnehmer über grundlegende Kompetenzen und Kenntnisse in der virtuellen Zusammenarbeit verfügt.

Seitens der Führungskräfte wären neue Kompetenzen hinsichtlich virtueller Führung wichtig. Home Office wird sich weiter Richtung mobilem Arbeiten entwicklen. Somit steht auch die komplette Infrastruktur von Unternehmen unter hohem Veränderungsdruck.

Dezentrale Strukturen sind jetzt gefragt. In Zukunft werden wir nicht mehr täglich in die große Firmenzentrale fahren, um uns dort zum gemeinsamen Arbeiten zu treffen. Sondern wir finden uns in für uns günstig gelegenen Co-Working Hubs ein. Neue Zusammenarbeitstools sind dann gefragt – wie können wir uns über die Distanz organisieren, um weiterhin effizient zu arbeiten, aber trotzdem nicht den Spaß und die Motivation zu verlieren?

Eine weitere Herausforderung sehe ich bei Arbeitnehmern im Thema der Selbstführung. Noch nie war es wichtiger als jetzt, in der Lage zu sein, sich selbst zu führen: sich selbst zu organisieren, strukturieren, motivieren und zu disziplinieren. Eigene Routinen und Selbstfürsorge sind wichtige Bestandteile der Selbstführung und stabilisieren in einer unsicheren Zeit.

Im Homeoffice arbeitet keiner, oder?

Max: Wir hören oft von Lesern, dass Chefs die Sorge hätten, sie würden im Homeoffice nicht arbeiten. Eine berechtigte Sorge?

Sehe ich nicht so. Das ist allenfalls in Unternehmen der Fall, wo Leistung von Mitarbeitern in Anwesenheit gemessen wird. Die meisten Unternehmen, die ich kenne, verfolgen jedoch ein ergebnisorientiertes Performancemanagement. Hier gilt, was am Ende des Tages geliefert wird als Leistungsmerkmal.

Manchmal spielen auch persönliche Macht- und Kontrollansprüche von Vorgesetzten eine Rolle, wenn dieser Vorwurf geäußert wird. Dieser kommt dann eher von Vorgesetzten, die ein tradiertes Rollenverständnis von Führung haben und denken, sie müssten alles kontrollieren, was ihre Mitarbeiter den ganzen Tag so machen. Dieser Führungsstil resultiert häufig in Micro Management von Arbeitnehmern und ist erwiesenermaßen besonders ineffizient, da er vor allem eines erzielt: Demotivation.

Ich erlebe eher das Gegenteil. Arbeitnehmer sind wesentlich produktiver im Home Office, da sie ihren Arbeitsalltag eher an eigenen Bedürfnissen ausrichten können. Auch der Workload scheint besser reguliert, da sich Führungskräfte nun erst einmal besser organisieren müssen, um zu delegieren. Aufgaben können nicht mehr im Vorbeigehen „zugerufen“ werden. Es ist zumindest ein Telefonanruf, Skype-Call oder eine E-Mail notwendig. Das sind Hürden, die einigen Führungskräften bereits zu hoch sind und dadurch fällt ein bisschen Workload auch mal weg.

Homeoffice und Gesundheit

Max: Ok, guter Punkt. Ich stimme dir zu, Arbeiten können besser ohne Unterbrechung bearbeitet werden. Siehst du denn auch Probleme im Zusammenhang mit Homeoffice? Welche Herausforderung hatten Arbeitnehmer?

Ich denke, dass Einsamkeit ein aktuelles Thema ist, dass viele im Home Office beschäftigt. Große Teile des zwischenmenschlichen und informellen Austauschens mit Kollegen fallen weg. Der Flurfunk ist völlig lahm gelegt und auch die Raucherpause als sozialer Anker fehlt. Da können Gefühle von Einsamkeit berechtigt aufkommen. Ich denke, dass vor allem extrovertierte Menschen damit jetzt eine Herausforderung haben, also Menschen, die sich sehr viel Energie aus das Zusammensein und -arbeiten mit anderen Menschen ziehen. Introvertierte Menschen hingegen werden wohl jetzt endlich einmal aufatmen können und die Zeit für sich genießen.

Max: Das stimmt, Kaffeeküchen waren ja nicht ohne Grund einer der Sammelplätze ;-). Gibt es denn auch körperliche Herausforderungen? Der Alltag vieler hat sich ja dramatisch geändert…

Viele Arbeitnehmer sind Zuhause nicht mit einem ergonomischen Arbeitsplatz ausgestattet, was sich über kurz oder lang durch Kopf- und Rückenschmerzen bemerkbar machen kann. Ich finde, hier ist Jeder gut beraten, selbst in ein ergonomischen Arbeitsplatz zu investieren, schließlich geht es um die eigene Gesundheit.

Im Home Office fehlen auch die Strecken, die man täglich im Büro läuft: zur Küche, in die Kantine, in die Cafeteria, auf die Toilette oder zum Drucker. Man unterschätzt die Strecken, die sich hier aufaddieren und die im Home Office fast völlig fehlen. Dadurch bewegt man sich im Home Office viel weniger und leidet vielleicht sogar unter Bewegungsmangel. 10000 Schritte sollte man täglich schaffen, um langfristig fit zu bleiben. Im Home Office ist dies gar nicht so leicht zu erreichen.

Bewegungseinheiten sollten daher regelmäßig eingeplant und durchgeführt werden. Wenn der Arbeitsplatz in der eigenen Küche ist, dann ist der Weg zum Kühlschrank nicht weit. Schnell wird zwischendurch gesnackt und geschlemmt. So kommen einige Home Office Kilos schnell zusammen. Hier ist Disziplin gefragt. Man fährt gut damit, Mahlzeiten zu planen und vorzubereiten und auf eine abwechslungsreiche und vollwertige Ernährung zu setzen. 

Homeoffice und IT

Das stimmt (und legt dabei gerade sein Snickers weg… :D), man muss sich wirklich erstmal einleben und einspielen! Eine ganz andere Frage: Schafft denn jeder den technologischen Wandel? Die IT ist ja nicht zuhause?

Lernen und sich entwickeln ist mit der richtigen Einstellung in jedem Alter möglich. Wer offen, neugierig und aktiv ist, schafft den technologischen Wandel. Wer sich zurücklehnt und Andere machen lässt, schafft es nicht. Man muss halt einfach dranbleiben, nicht aufgeben und Schritt für Schritt das Neue für sich erschließen. Unternehmen können ihre IT-Servicehotlines aufrüsten, wenn diese noch nicht vorhanden sind. Das hilft Arbeitnehmern im Home Office ungemein.

Die Zukunft von Homeoffice

Max: Ja, aber es gab ja immerschon den einen Kollegen, bei dem der Drucker „nie geht“, ich glaube das wird auch immer so bleiben ;). Lass uns mal einen Blick in die Zukunft werfen: Wird Homeoffice bleiben?

Ja definitiv. Dieser Kollege wird dann ab jetzt nichts mehr drucken können ;). Ich denke spätestens jetzt konnte auch der letzte Kritiker vom Home Office Modell überzeugt werden. Wir haben erlebt, dass Vieles gut und Einiges sogar besser im Home Office Modus funktioniert. Daher wird Home Office ein fester Bestandteil der Zukunft der Arbeit sein.

Max: Meinst du nicht, dass sich viele ein Schritt zurück wünschen?

Ich sehe schon, dass sich Einige das alte Normal zurückwünschen und wahrscheinlich wird es in Teilen auch zurück gehen. Jedoch denke ich nicht, dass sich das wieder durchsetzen wird. Dazu hat der Home Office Modus zu stark bewiesen, dass performance-relevantes Arbeiten trotzdem möglichst. Außerdem ist es für Arbeitgeber zu verlockend, die Mietkosten nun für große Headquarter Gebäude einzusparen.

Ja das stimmt, Fortschritt lässt sich eigentlich nie umkehren… Nun noch eine letzte Frage: Nimmt der Wettbewerbsdruck durch Home Office noch mehr zu ? Ob Homeoffice 10km entfernt oder 10000km ist doch egal oder?

Gute Frage! Für den Recruitingmarkt spielt das sicherlich eine Rolle. Unternehmen mit nicht so attraktiven Standorten können ihre Vakanzen mit Home Office Option attraktivieren und dadurch mehr Bewerber pro Stelle generieren. Natürlich steigt dann der Wettbewerb auf einen Job und im Arbeitsmarkt allgemein. Ich bin gespannt, wie die Unternehmen das im Rahmen der Candidate Experience aufnehmen werden.

Max: Ganz herzlichen Dank für Deine Zeit Janine. Wir wünschen Dir viel Erfolg & alles Gute!


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